03-Über TET und ACT durch den Norden Portugals

27.05.2023: Endlich wieder Offroad fahren, würde ich sagen, aber beim Frühstück im Keller des Santo Apolonia hört man immer wieder Regenschauer über die Stadt hinwegziehen. Das Angebot und die clevere Art alles frisch zu halten, indem man es einfach in Glaskühlschränke drapiert hat, helfen lange am Tisch zu bleiben. Aber irgendwann nach dem dritten Café wird es Zeit, in den Motorradanzug zu steigen und den Zimmerschlüssel abzugeben. Überraschenderweise regnet es dann nicht mal, als ich durch die kleinen steilen Kopfsteinpflasterstraßen zum Castelo de Braganca hinauf fahre. Als ich an der Ampel stehe, die den Verkehr auf und von dem Burghof regelt, kommen zwei ACT-Fahrer auf riesigen Maschinen gerade vom Fototermin, den wahrscheinlich alle Abenteurer auf zwei Rädern hier machen.

Als ich eine Stunde später in Samil in den Track einsteigen, bin ich froh zusätzlich zur Suunto-Navigation noch deren Spuren vor mir im Geröll des Weges erkennen zu können. Das erspart mir das ständige Anhalten und durch die Karte scrollen, aber wirklich schnell komme ich nicht voran und ich muss mich definitiv um eine vernünftige Navigation kümmern.

Eher unscheinbar, aber hier startet der ACT Portugal offiziell.

Sogar eine optionale Wasserdurchfahrt kann man hier bestreiten, wenn einem die Brücke zu langweilig ist.

Der Weg führt nach einem saftigen Anstieg immer oben auf einem Bergrücken entlang, wo er dann auch einfacher zu fahren ist. Hier lässt sich das schlechte Wetter von heute früh auch nicht mehr ausmachen, endlich kann ich gute Aufnahmen in der Sonne machen! Dann tauchen zwei Täler im Abstand von vielleicht 30km auf, deren Auf- und Abfahrten alleine auf einem großen Adventurebike schwer zu bewältigen sind. Am Fuße führt jeweils eine alte Brücke aus Römerzeiten über einen Fluss und als ich auf Letzterer stehe, höre ich aus der Ferne hinter dem nächsten Hügel ein mir vertrautes rumpeln.

Höchste Zeit, aus dem Tal zu verschwinden, denn wenn hier alles nass ist, wird das ungleich schwieriger. Im nächsten Dorf gibt es eine Versammlung der Bewohner, aber leider kein Café, in dem ich das heranziehende Gewitter überdauern kann, also fahre ich weiter, bis ich in eine Hochebene komme, wo ich selbst der höchste Punkt bin und der Regen auf mich herabtröpfelt.

Auf diesen Berg hinauf führt der ACT, aber da kommt gerade eine Wolkenwand mit gewaltiger tonaler Untermalung drüber.

Keine Chance, bis in die nächste Stadt zu kommen, also zurück ins letzte Dorf und nochmal genau nach schauen! Ich platze in die Einwohnerversammlung, die sich als Konzert herausstellt und bestelle an einer improvisierten Theke im Versammlungsraum einen Café. Die Dorfbewohner haben nun also neben der portugiesischen Konzertgruppe noch einen gebrochen spanisch sprechenden Raumfahrer als Attraktion.

Zuflucht im Gemeinderaum, bei Cafe und Musik warte ich das Gewitter ab.

Etwa eine Stunde höre ich der Band zu, versuche mit den Bewohnern Smalltalk zu betreiben, rede mit einem der Bandmitglieder und dann noch mit einem älteren Portugiesen draußen auf dem Platz, ehe das Wetter einigermaßen so zu sein scheint, dass man weiterfahren kann ohne vom Blitz getroffen zu werden.

Unter den großen Bäumen auf dem Ortsplatz ein wenig vor Regen geschützt.

Was einen aber auch nicht vor Regen schützt, wie ich herausfinde, denn kurz bevor ich die Hauptstraße in den nächsten großen Ort erreiche, kübelt es wieder wie aus Eimern. Naja, nur ein paar Kilometer die Straße herunter, dann kann ich irgendwo Zuflucht suchen und entscheiden, ob und wie ich weiter fahre.

Bist du der höchste Punkt, wart‘ nicht dass es funkt! Rennen gegen das nächste Gewitter.

Nur warum kommen alle Autos und Motorräder, die die letzte Kreuzung an mir vorbeigefahren sind, mir wieder entgegen? Hinter einer langen Kurve steht ein Zivilgardist im Regen mitten auf der Straße und sperrt dieselbe nach Mogadouro. Im Hintergrund sehe ich einen alten Mercedes und ein anderes rotes Auto ineinander verkeilt auf der Gegenfahrbahn im Regen stehen, darum herum die Rettungskräfte. Das sieht übel aus und lässt mich demütig eine Schleife von 20 Kilometer bis Mogadouro extra fahren, dass ich nicht in diesem Wetter in einen Unfall verwickelt wurde. In der Stadt fahre ich hinauf zum Castell und versuche abzuschätzen, ob eine Weiterfahrt sinnvoll ist, denn auf einer Breite von fast 180 Grad kommen einzelne Gewitterzellen in meine Richtung gezogen.

Etwa 50km auf kleinen Straßen und durch Gelände liegen vor mir bis Torre de Moncorvo, dem nächsten Ort auf der Karte mit einer festen Unterkunft. Ich beschließen, es dem französischen Motorradfahrer, dem ich in die Stadt gefolgt bin, gleich zu tun und im Hotel hier in Mogadouro zu bleiben und den Tag schon 16 Uhr zu beenden. Keine halbe Stunde später zeichnet die Kamera im Zeitraffer auf, wie das Unwetter kubikmeterweise Wasser auf die Dächer der Stadt schüttet.

28.05.2023: Das Wetter über Mogadouro ist an diesem Tag geringfügig besser, es regnet zwar leicht, gewittert aber nicht. Als ich an der Rezeption den Schlüssel abgebe, kommen wir kurz ins Gespräch über das Wetter und ich bekomme die Information, dass es zumindest nicht mehr regnen soll bis Nachmittag um 2. Und tatsächlich, als ich die Tiefgarage verlasse, kommt zumindest kein Wasser von oben. Ein paar Kilometer weiter erspare ich mir die Extrarunde zum Lagos de Sabor und fahre direkt von Meirinhos in die nächste Offroad-Etappe ein, die auch eine Bachdurchquerung beinhaltet.

Verlassene Gehöfte und einsame Behausungen sind rund um den Lagos de Sabor überall zu finden.

Auch einige Straßenabschnitte sind auf den 50 km nach Torre de Moncorvo zu bewältigen.

Ich folge den Schotterstraßen und dann den kleinen Nebenstraßen, bis ich bei Torre de Moncorvo, meinem eigentlichen Tagesziel von gestern, hinunter auf eine Talsperre des Flusses Douro schaue.

Die Aussicht vom Bergrücken über Torre de Moncorvo hinunter in das Tal des Rio Douro ist wirklich eine Pause wert!

Schnell tanke ich hier nach, bevor es in die nächste Offroad-Passage geht, an deren Ende ich Barca d’Alva wieder den Fluss überqueren muss und nicht schlecht über die Kreuzfahrtschiffe staune, die hier neben der Brücke ankern.

Von hier fahre ich einige entspannende Kilometer immer auf der Straße bis nach Castelo Rodrigo, das hier über der Landschaft thront und augenscheinlich ein gut besuchtes Ausflugsziel für alle Reisende ist. Ich entscheide, mir das Ganze nochmal von oben anzuschauen, denn der ACT führt als nächstes ohnehin auf den Marofa hinauf, einen Berggipfel, der nochmals die Ebene und das Castelo Rodrigo an Höhe übersteigt. Von hier oben kann man gut die umringenden Berge sehen und ich bekomme auch mit, dass sich die Wolken wieder zuziehen. Also nichts wie weiter! Vorher allerdings statte ich den kleinen Häuschen noch einen Besuch ab, die rund um den Gipfel errichtet wurden. ChatGPT meint, auf deren Bedeutung dazu von mir befragt:

„Die kleinen Häuser rund um den Gipfel des Marofa in Portugal sind tatsächlich keine echten Häuser, sondern sogenannte „Marofas“. Diese sind traditionelle Steinstrukturen, die in der Vergangenheit von Hirten und Bauern als Schutz vor schlechtem Wetter und als Unterschlupf für ihre Tiere genutzt wurden. Heutzutage dienen sie eher als kulturelles Erbe und sind ein beliebtes Fotomotiv für Besucher. Es gibt tatsächlich einige Marofas, die religiöse Bedeutung haben könnten. In einigen Fällen werden christliche Statuen oder Kreuze in der Nähe der Marofas platziert, um eine spirituelle Atmosphäre zu schaffen. Dies könnte darauf hindeuten, dass diese Orte für Gläubige eine besondere Bedeutung haben.“

Auf dem Weg hinunter vom Berg umgehe ich nochmal das Nass von oben, kann leider aber auch nicht den Nationalpark mit den braun-gelben Steinformationen bei Cidadelhe großartig erkunden. Dafür macht das konstante dahinflowen über Stock und Stein einfach zu viel Spaß.

Je näher ich der Serra de Estrela komme, desto nasser sind die tiefer gelegenen Wege auch.

Der Abschnitt rund um den Parque Arqueológico do Vale do Côa nahe Cidadelhe ist wahrlich ein Genuss zu fahren und zaubert jedem Endurofahrer ein Lächeln ins Gesicht.

Einige Kilometer weiter, bei Moimentinha fängt es dann tatsächlich an mit tröpfeln, als ich gerade in die nächste, sandige, singletrackige Offroadpassage einsteige. Den Spaß daran lasse ich mir aber trotzdem nicht nehmen! Da ist der Hütehund einer Schafherde, die ich passiere schon schlechter gelaunt und will mich partout nicht vorbei lassen, obwohl sein Herrchen ihn ruft. Immer wieder schalte ich den Motor aus und spreche beruhigend auf ihn ein, dass er an mir vorbei zum Tor der Schafweite geht, aber sobald ich den Motor anschalte, kommt er von hinten wieder vors Motorrad geflitzt und kläfft mich im Regen an. 10 Minuten geht das Spiel, bis er so weit weg ist, dass ich den Motor anwerfen und auf 50 km/h beschleunigen kann, ehe er zurückgerannt ist. Ab da fahre ich wunderschöne Offroadtracks, aber halt im strömenden Regen.

Singletrail at it’s best!

Die Mischung zwischen solidem Felsuntergrund und sandigen Bereichen dazwischen lädt zum Spielen ein.

Obwohl das Wetter nicht das Beste ist, gefällt mir dieser Abschnitt zwischen Pinhel Gare und Velosa außerordentlich gut.

Das soll sich auch nicht ändern, bis ich Celorico de Beira erreiche, eine Kleinstadt am Fuße der Sera Estrela. Hier steige ich im zentraleren der beiden Hotels ab, dessen Betreiber direkt davor auf Gäste wartet, mir gleich einen Schlüssel fürs Zimmer in die Hand drückt und mir den Weg in die Garage weißt. 42€ die Nacht, Restaurant im Haus! Wunderbar, dann muss ich heute nicht mehr raus in die Nässe!

29.05.2023

Schon beim Frühstück stelle ich mich heute schon darauf ein, nicht nur im Laufe des Tages vom Regen überrascht zu werden, sondern schon darin zu starten. Ich schiebe meine KTM also am Expeditionsfahrzeug, mit dem der Hotelbesitzer ganz Afrika bereist hat, und an der spanischen Motorradgruppe in der Einfahrt vorbei und suche den Einstieg in den ACT.

Mit diesem Peugeot namens Travesso ist der Hotelmanager in vergangenen Tagen durch ganz Afrika gefahren.

Endlich habe ich es geschafft, auch auf dem Zweitsmartphone die App OSMand+ als echtes Navigationsgerät und nicht nur als digitale Karte einzurichten, den sie erkennt jetzt ihre GPS-Position und führt mich tatsächlich wieder. Eine riesige Erleichterung, die mich ganz die Absperrung auf dem Feldweg ignorieren lässt. Wer wird denn bei dem Wetter Bauarbeiten auf diesem Weg durchführen wollen? Keinen Kilometer weiter finde ich heraus: Die Windturbinenfirma, deren Mitarbeiter hier überall auf der Kreuzung stehen und mir den Vogel zeigen, als ich mich dazu geselle.

Warten auf besseres Wetter? Diese Bauarbeiter sind nicht erfreut mich zu sehen.

Keine Chance zum Aufbau von Windkraftanlagen, wenn man nicht mal das Ende des Masts sieht.

Unerschrocken und unbeeindruckt steuere ich die erstbeste Gruppe an und frage, welcher der 6 Wege mich nach Manteigas führt und ob man da durch kommt. Ja, jener Weg führe dorthin, aber ob ich das Absperrschild nicht gesehen habe, werde ich auf englisch gefragt. Wenn man sich selbst belastet, habe ich mal gelernt, hat man das Recht zu schweigen…und lenke gleich vom Thema ab mit der Frage: Also hier werden bei diesen Wetterbedingungen Windkraftanlagen aufgestellt? Diese Frage wollen die Angestellten nun ihrerseits nicht beantworten und erzählen mir nun, welchen Weg ich nehmen kann, um sie nicht weiter in ihrer Arbeit zu stören. Ich verspreche hoch und heilig, nicht wieder zurück zu kommen und entferne mich schnell tief ins Land der Abenteuer.

Der sandige Untergrund in den höheren Lagen der Serra de Estrela lässt sich gut fahren, nur auf Spurrillen muss man aufpassen.

Fast die kompletten folgenden zwei Stunden fahre ich durch spektakuläre Landschaften, die ich ab und zu mal erahnen kann…

weil sich der mystische Nebel (oder sind es schon Wolken?) um mich herum…

…mal auf 200m, mal auf 500m Sichtweite lichtet.

Zwischen Singletrail mit starkem Bewuchs und…

…breitem Forstweg mit Aquariumfeeling wandert der ACT die Serra de Estrela hinauf.

Sobald ich bei Manteigas wieder auf eine asphaltierte Straße treffe, die mich hinab ins Tal führt, tauscht die Umgebung die Nebelwand gegen riesige Bäume aus.

Nicht im Bild: die 7 Biketouristen aus Frankreich, die sich gerade fragen, warum ich vor meiner aufgestellten Kamera weggefahren bin und nun wiederkomme.

In diesem Talkessel unterhalb des Torre scheint immer genug Wasser zur Verfügung zu stehen. Manchmal sogar so viel, wie ich erfahren muss, dass die langgestreckte EN 338 gesperrt wird. Zwei Typen in Warnwesten halten den Verkehr vor mir an und leiten ihn um, weil wohl die Straße über- oder unterspült wurde nach den starken Regenfällen in den letzten Tagen. Als ich versuche herauszufinden, wo man stattdessen langfahren kann, zückt einer der beiden kurzerhand sein Telefon und hält es mir hin, dass ich mit seinem Chef sprechen kann. Nach einem kurzen, konfusem Gespräch bin ich nicht wirklich schlauer warum die Straße gesperrt ist, habe aber die Freigabe, es mit dem Motorrad hinauf zu versuchen. Für genau solche Fälle fährt man doch ein Abenteuer-Motorrad, also los!

Gemeinsames, ratloses hin- und herwischen zwischen Navigationsapp und Übersetzungstool hat auch etwas Verbindendes.

Der Grund für die Sperrung der EN338 ist ein bisschen Sand, der durchaus hätte umfahren werden können. Die 690 Enduro R lacht heute noch darüber.

Kaum eine halbe Stunde später rolle ich auf den Parkplatz des Skigebiets oben auf dem Gebirge und kann mir immer noch nicht erklären, was wohl (abgesehen von einem kleinen, umfahrbaren Geröllhaufen) die Straßensperrung verursacht hat. Nur 5 weitere Personen befinden sich hier mit mir auf dem höchsten Berg des portugiesischen Festlands und das ist wahrlich kein Wunder, denn man sieht nichts. Ich drehe eine Runde um die alten Observatorien und das Einkaufszentrum am Lift, von wo die besten spanischen Pistenhits des Jahres 2023 den Parkplatz beschallen und folge dann dem TET schleunigst in den nächsten Ort mit einer Tankstelle.

Sieht aus wie ein Observatorium auf dem Mond, ist aber auf dem Gipfel der Serra de Estrela.

Wieder unter der Wolkengrenze, kann man bis Unhais de Serra blicken.

Die starken Regenfälle der letzten Woche haben in Unhais de Serra eine Straße unterspült und stark beschädigt.

Von Unhais de Serra folge ich dem ACT noch eine Weile über die Bergrücken entlang der Wartungsstraßen für Windkraftanlagen. Mehrere Kilometer geht es auf fein geschotterten Wegen durch die Waschküche hier, manchmal steil bergauf und bergab, manchmal auf einer Höhe bleibend.

Von Silvares bis Foz do Giraldo folgt der ACT immer dem Wartungsweg der Windkraftanlagen, oben auf dem Kamm entlang. Leider ohne viel Sicht preiszugeben.

Da man bei dem Wetter nicht mal einen Hund vor die Tür jagt, kann ich der KTM mal die Sporen geben, ohne mit unliebsamen Begegnungen rechnen zu müssen.

Als der Regen wieder einsetzt, gebe ich die Hoffnung auf einen trockenen Tag morgen auf und schlage direkt den kürzesten Weg nach Abrantes ein, um in einer guten Position nach Lissabon zu sein. Dort buche ich von unterwegs ein Zimmer auf einer schnuckeligen Farm. Als ich dort ankomme, empfängt mich ein älterer Herr mit Spazierstock und führt mich zu einem über dachten Carport neben seinem Haus. José ist 74 Jahre, ehemaliger Marineoffizier und spricht erstaunlich gut englisch für einen Portugiesen seines Alters. Und er will die Sachen richtig und korrekt machen, wie ich in der dreiviertel Stunde erfahre, die ich mit ihm vor seinem Büro auf der Terrasse sitzend erfahre. In nassen Schuhen und vom Wasser schwer gewordenen Anzug debattiere ich mit ihm, dass ich das Zweibettzimmer bei Booking gebucht habe wegen des Preises von 54€ und nicht weil es nur 44€ gekostet hätte, wäre ich allein gekommen. Da er aber eine militärische Erziehung genossen hat, ist es ihm unmöglich, mir 54€ abzunehmen, ohne dass eine zweite Person im Gästebuch unterschreibt, ihren Ausweis scannen lässt oder hier übernachtet, nein, man müsse die Reservierung rückgängig machen, obschon ich nicht die Möglichkeit gehabt hätte, ein Zweibettzimmer für eine Person zum von ihm festgelegten Preis von 44€ zu buchen. Das Ganze ist so mühsam wie es sich anhört und artet fast in eine Grundsatzdiskussion aus, als ich die Frage stelle, ob der portugiesische Fiskus tatsächlich prüft, wann wieviele Leute hier übernachtet haben und welchen Preis sie dafür zahlten. In dem Moment als er nur nickt, wird mir klar dass Portugal kein Auswanderungsziel für mich sein kann.

José sieht mich schon aus der Ferne auf seinen Kommandoposten zukommen.

Irgendwann schaffe ich es in den Bungelow auf der Ranch, wo José mir noch seine Souveniersammlung aus aller Welt, Fotos seiner Kameraden und eine Modellsammlung alter und neuer Waffen zeigt. Dort drunter mache ich es mir mit meinem Abendessen aus dem Beutel bequem, weil ich eine Küche nutzen kann und es eh viel zu spät ist, nochmal in die Stadt zu ziehen.

Flaschenöffner und Souveniers aus aller Herren Länder, die José im Laufe seiner Dienstzeit gesammelt hat.

30.05.2023

Um 8 ist das Frühstück auf dem Tisch, sodass man die Uhr danach hätte stellen können. Entweder Josés Gehilfin war selbst beim Militär oder wurde von ihm selbst ausgebildet. Es ist das Angebot an Speißen reichhaltig und gut. Ich quatsche noch ein bisschen mit José, der gestern noch den Preis bei Booking hat ändern lassen und bezahle dann nur 42€, weiß der Geier warum. Als ich die lange Schottereinfahrt hinunterfahre winkt mir der alte Seefahrer noch hinterher, während er mit seiner Fernbedienung das Tor öffnet.

José verabschiedet mich seemännisch, als ich von der Quinta de Reforma ablege.

Durch Abrantes hindurch schwimme ich im Berufsverkehr mit, bis ich die Autobahn erreiche und mich Richtung Lissabon einordne.

Auch in Portugal gibt es auf einigen Strecken der Autobahn wieder Mautautomaten.

Zu Beginn sieht es noch regnerisch aus, nach der Hälfte des Weges sehe ich das erste Mal seit Tagen wieder richtig die Sonne.

Gleich mal die von tagelangen Regenfällen nassen Schuhe trocknen!

Des guten Wetters wegen beschließe ich gleich noch einen Abstecher nach Sintra zu machen und umfahre Lissabon auf der A16. Doch weit komme ich nicht, denn als ich direkt auf eine Mautstation zuhalte und langsamer werden will, lässt sich der Kupplungshebel ohne Widerstand bis zum Lenker ziehen. Runterschalten zwischen den Gängen geht noch, aber direkt vor der Schranke muss ich den Motor abwürgen, um nicht hinein zu fahren. Schnell wird mir klar, dass hier in der nächsten halben Minute keine Abhilfe zu schaffen sein wird und ich signalisiere das der Frau im Van hinter mir in meiner Reihe, indem ich ein Kreuz in die Luft zeichne. Dann bezahle ich die Maut und schiebe meine KTM in Neutral hinüber zur Autobahnmeisterei.

Rien ne va plus! Nur schiebend bekomme ich die KTM durch die Mautstation.

Ratlosigkeit auch bei dem Mitarbeiter der Autobahnbehörde.

Der Mitarbeiter, der dort Pause macht ist nicht von hier und kann mir nur schlecht weiterhelfen. Er weiß nur, dass ich hier nicht bleiben kann und bittet mich, mein Motorrad auf dem Parkplatz weiter unten abzustellen und hinüber zur Autowerkstatt in Sichtweite zu laufen.

Gar nicht so einfach, von einer eingezäunten und stacheldrahtbewehrten Autobahn herunter zu kommen.

Gesagt, getan. Ich schiebe meinen fahrbaren Untersatz zu der Parkbucht und finde ziemlich schnell eine lose Leitung zum Eingang des Kupplungsnehmerzylinder. Rund herum ist der Bereich feucht durch ausgelaufene Hydraulikflüssigkeit, also bräuchte ich nur die Leitung festziehen und die Kupplung neu befüllen. Da gerade hier 32 Grad im Schatten sind, ziehe ich erstmal den Anzug aus und bahne mir einen Weg von der Autobahn hinunter, was nicht ganz einfach ist. Im Autohaus spricht natürlich keiner englisch und ich versuche mich mit spanisch durchzuschlagen:

„Tengo una problema con la acoplamiento de mi moto. Teneis aceite de hydraulico?“

Keiner will sich dem Problem annehmen, also nimmt es der Chef selbst in die Hand. Leider gibt es keinen Van hier, mit dem man das Motorrad zumindest von der Autobahn hierher holen könnte, denn fahren ist unmöglich. Vielleicht kommt man mit Anschieben von der Autobahn herunter, aber spätestens an der nächsten Ampel ist der Ofen aus. Wir kommunizieren eine Weile über DeepL auf meinem Telefon, bis er mir vorschlägt, meine Versicherung anzurufen. Ich bin skeptisch, ob die etwas für mich tun können, aber mangels Alternativen scheint mir das der einzige Weg zu sein.

Also telefoniere ich mit der HUK24 und erkläre die Sachlage hier in Portugal. Natürlich wird es länger dauern, aber man schickt mir einen Abschleppdienst, der mich und das Motorrad vor die Tür eines KTM-Händlers buxiert. Alles klar, dann warten wir mal. Ich bekomme kurz darauf eine E-Mail von einem spanischen Ableger meiner Versicherung, wo ich eine genaue Problembeschreibung und meinen genauen Standort auf der A16 in einem Textfeld eingebe und abschicke. Dort lässt sich auch der Standort des nächsten Abschleppwagens einsehen und ich checke den Status aller 30 Minuten, nur um wieder festzustellen, dass sich da gar nichts tut.

Viele Minuten vergehen am Telefon im Gespräch…

…noch mehr in der vollen Sonne wartend.

Nur weil sich eine kleine Leitung am Nehmerzylinder gelöst hat.

Als es 16 Uhr wird und ich schon gut in der Sonne gekocht habe, beschließe ich mir selbst zu helfen. Ich schließe alles ab, was ich nicht brauche und mache mich auf den Weg in die nahe Stadt Agualva-Cacem, wo ich einen Motorradhändler ausfindig gemacht habe. Vielleicht hat der ja was ich brauche und ich kann das Hydrauliksystem selbst wieder befüllen und von der Autobahn herunter nach Lissabon fahren? Wie cool wäre das denn? Gerade als ich den Laden gefunden habe, ruft der Typ vom Abschleppdienst an und stellt mir tausend Fragen auf portugiesisch. Ich verstehe nicht ein Wort und erkläre schnell, dass ich mich später nochmal melde. Ich bin der Lösung so nahe! Der Verkäufer in dem Laden meint zu haben was ich brauche, aber als er mir eine Büchse DOT in die Hand drückt und überzeugt meint dass es das ist was ich brauche, bin ich skeptisch. Beim Wechsel des Nehmerzylinders erinnere ich mich, entweder Magura Mineralöl oder Hydraulikflüssigkeit von KTM eingefüllt zu haben. Er ruft eine Webseite auf und zeigt mir dass bei den Empfehlungen für mein Fahrzeug ein Kanister mit DOT 4.1 steht, während ich in den Handbuch-PDFs auf meinem Telefon krame. An der richtigen Stelle angekommen steht „Motorex Hydraulic fluid 75“ und als ich ein Bild des flüssigen Goldes aus dem Internet aufrufe, ist auf der Verpackung groß und breit DOT durchgestrichen.

Nur das Beste für die KTM, sonst lösen sich ruck-zuck Dichtungen und Leitungen auf, wenn man statt Mineralöl Bremsflüssigkeit einfüllt!

Der Händler hat ein Einsehen und gibt mir die Adresse eines anderen KTM-Händlers in der Stadt, rund 2 km weiter, der das Zeug vorrätig hat und mir eine Dose verkauft. Auf dem Weg dahin ruft der portugiesische Abschleppdienst noch dreimal an, aber englisch oder spanisch kann er immer noch nicht. Also sage ich ihm meinen einstudierten spanischen Text auf, in dem ich ihm erkläre: „Yo tengo una solucion por mi problema con la moto. No neccesito usted que ayudarme mas! Yo se como puedo reparar la acoplamiento.“ Dennoch scheint er mich nicht zu verstehen, denn auf dem Weg zurück ruft mich eine Korrespondentin aus Lissabon an und versucht die Sache auf englisch zu klären. Auch ihr erzähle ich meine Lösung, nur wesentlich ausschweifender und sie cancelt den Auftrag.

Eine Stunde später komme ich verschwitzt und mit beginnendem Sonnenbrand wieder am Rastplatz an und beginne die KTM auseinander zu schrauben. Wie ich dort so stehe und hantiere, sieht mich ein Portugiese mit einem ähnlichen Problem und kommt auf mich zu, um sich eine Zange zu borgen. Ich leihe sie ihm und er versucht damit eine Schraube aus seinem Reifen zu ziehen, bis ich ihm auf englisch erkläre, dass das keine gute Idee ist. Dadurch würde nur die darin noch befindliche Luft entweichen und er würde nicht mal mehr zur Werkstatt kommen. Offensichtlich versiegelt die Schraube noch das Loch und wenn er wie er sagt nur eine halbe Stunde nach Hause hat, könnte er durchaus noch bis dahin kommen. Er hat ein Einsehen und fährt direkt weiter, sodass ich an der KTM weiterbasteln kann. Ich schraube den Überlaufbehälter auf und kippe erstmal ordentlich Hydraulikflüssigkeit rein. Dann betätige ich den Hebel und öffne unten die Entlüftungsschraube. Den Prozess wiederhole ich einige Male und es kommt jede Menge Öl aus der Entlüftungsschraube, aber es baut sich kein Druck auf am Hebel. Komisch! Etwa 3-4 mal fülle ich den Ausgleichsbehälter oben auf und entleere ihn wieder über die Entlüftungsschraube. Ich pumpe mit dem Hebel mit geschlossener Position und offener Position, es entsteht kein Druck.

Ausgleichsbehälter öffnen und pumpen, Entlüftungsschraube schließen, pumpen, öffnen. Nichts funktioniert, der Hebel bleibt ohne Gegendruck.

Nach einer halben Stunde gebe ich auf und gestehe, dass ich mir diesmal nicht helfen konnte. Ich starte das Abschleppprozedere bei meiner Versicherung neu und warte weitere zwei Stunden auf dem Parkplatz, während die Sonne schwächer wird. Als wieder keiner kommt, beschließe ich mir ein bisschen die Beine zu vertreten und laufe nochmal vor zur Mautstation, wo vor mittlerweile 6 Stunden das Elend seinen Lauf genommen hat. Dort war in der Zwischenzeit auch Schichtwechsel und ich treffe einen neuen Ascendi-Mitarbeiter, der allerdings auch kein englisch spricht. Aber er hat eine Kollegin, die er anruft und die als Dolmetscherin ziemlich gut ist. Über sie mache ich beiden klar, dass ich seit wiederum 2,5 Stunden auf den Abschleppservice warte, den meine Versicherung organisiert und beauftragt hat. Nein, ein weiterer Abschleppdienst ist nicht nötig. Nein, ich kenne den Namen des Unternehmens nicht, das meine Versicherung beauftragt hat.

So entspinnt sich auf der nächsten halben Stunde ein Netz aus Verwicklungen, dass ich mir nur so erklären kann: Ich rufe meine Versicherung an, die ihrerseits eine Korrespondenzfirma in Lissabon beauftragt einen Abschleppdienst zu finden. Dieser Dienst bekommt die Informationen wo ich stehe aber nicht von meiner Versicherung oder der Korrespondenz, sondern von der Autobahnbehörde, bzw. Ascendi. Die haben das allerdings nicht melden können, weil die wiederum keinen Gestrandeten in ihrem Abschnitt registriert haben. Nachdem ich also bei meiner Versicherung den beauftragen Tow-Service über den Korrespondenten in Lissabon herausbekommen habe, war es dem Ascendi-Mitarbeiter auch möglich da anzurufen und ihn zu meinem Standort zu lotsen. Höchste Zeit, denn über die Autobahn senkt sich die Nacht als der Abschleppwagen endlich eintrifft und wir die bewegungsunfähige KTM auf der Ladefläche verzurren und in Rekordgeschwindigkeit zu der Adresse fahren, die ich dem Fahrer unter die Nase halte.

21:35, also rund 9 Stunden nach Eintritt des Schadens komme ich endlich von der Autobahn herunter.

Dort lädt er mich und die KTM vorm Caizmoto-Shop ab und ich packe die nötigsten Sachen, um von hier zu dem gestern Abend gebuchten Hotel in 4 km Entfernung zu laufen. Ich würde gern in der Haut der Partyhühner stecken, die vor den Nachtclubs im zentralen Lissabon anstehen und einen vollbepackten, berucksackten Typen in Wanderstiefel und Weltraumanzug bei 30 Grad nachts durch Lissabon hirschen sehen…einfach um zu wissen was sie denken.

Wie geht die Reise weiter? Im Abschleppwagen? Im Flugzeug? Auf zwei Rädern?

https://stefankloss.wordpress.com/reisen/2023-tet-act-iberia/04-tet-durch-den-sandigen-suden-portugals/